Erwin Stache
"Es ist nicht nur der Klang, der mich an Alltagsgegenständen, Fundstücken oder Industrieabfällen interessiert, sondern auch deren Form, Struktur und Geschichte. So ergeben sich verschiedene Ausgangspunkte für das Konstruieren einer Klangskulptur oder eines neuen Instrumentes."
(Erwin Stache)
Elektronische Schaltungen ? sichtbare Mechanik
Erwin Stache scheint die Poesie einfacher Dinge zu lieben. Sein künstlerisches Werk ist dem Entwickeln und Fertigen von elektro-akustischen und mechanischen Apparaturen verpflichtet. Es weist verschiedene Größen auf. Von Miniatur-Objekten bis hin zu großen Maschinenorchestern. Die kleinste Arbeit ist ein Bühnenstück in einer Box. Die Welt in der Schachtel. Ausgekleidet mit schwarzem Samt, entfalten sich wundersame Klänge aus der Schatulle. Das Heben und Senken des Deckels steuert Tonhöhe, Tempo, Klangfarbe oder Lautstärke. Eine Technik, die klingenden Geburtstagskarten ähnelt. Ohne die Aktion passiert nichts. Der Künstler und Objektebauer hat bereits eine Vielzahl solcher Objekte erstellt. Sie klingen und bewegen sich. Sie tanzen durch den Raum. Gesteuert werden sie über mechanische Elemente wie Scharniere, Deckel, Gitter, die in Verbindung von Erregern und Resonanzraum - sprich natürlichem Verstärker - zu Instrumenten werden. Kleine und große Schachteln - sie stehen für unterschiedliche Töne und Geräusche, wie bei Instrumenten.
Klingende Bewegungen
2002 war Stache (1960 in Aue im Erzgebirge geboren) im Rahmen der Donaueschinger Musiktage mit einer großen Skulptur zu erleben. Erneut bewegten sich die einzelnen Elemente tönend wie von Geisterhand. Eckpendel ? Scherengitter und Module, so der technisch anmutende Titel. Doch die Arbeit hat Witz. Es waren mechanische Fundstücke, die nun zum Ensemble wurden. Ein Holzgarderobenständer, ein paar Scherengitter und Ähnliches wurden von Elektromotoren angeregt und diese verwandelten die Dinge in kinetische Objekte. Licht- und Schattenspiele füllten den abgedunkelten Raum. Der studierte Physiker und Mathematiker erstellt aus solchen und ähnlichen Fundstücken mechanisch-akustische Skulpturen, die Bewegungen musizierender Menschen zu imitieren scheinen.
Schaukästen ? Bühneninventar
2007 später ist Stache erneut in Donaueschingen präsent. Diesmal bespielt er die Teichanlage im Schlosspark. Im Wasser versenkt wurden klingende Röhren, die als Naturorgel durch variierende Wassermengen den Klang änderten. Eine tönend bewegte Oberfläche entstand, die vom Gesang der Vögel und Geräuschen der Fußgänger im Park akustisch gefärbt wurde. ?Die Einflussnahme auf den Raum ist ein wesentlicher Punkt meiner Installationen. Die auf einem der Teiche im Schlosspark schwimmenden roboterartigen Maschinengebilde sind technische Objekte, die eigentlich Fremdkörper in der natürlichen Umgebung sind.? (Erwin Stache) Die Bühne im Freien lässt dem Zufall freie Hand. Dinge passieren einfach, ohne dass sie im Voraus geplant werden könnten. Das Publikum beobachtet und verfolgt die akustischen Bewegungen. Der Künstler erinnert uns mit seiner Bühne an das grundlegende Muster der Beobachtung. Ereignis, Inszenierung und Sichtbarkeit geben den Arbeiten etwas Nachvollziehbares. Stache schürt die Lust am Entdecken. Sein künstlerischer Weg führt den Elektrobastler und Orgelbauer von der Bühne des Theaters zu eigenen Naturbühnen. Stache greift in die Orte ein und verändert unsere Wahrnehmung. Neugierig und aufmerksam bewegen sich seine Besucher in den Ausstellungen, wo meist auf Tischen Sammlungen klingender Behältnisse präsentiert werden. Anfassen ist ausdrücklich erwünscht!
Absurde Maschinen
Der multimedial arbeitende Künstler bezieht sich auf die Musik- und Kunstgeschichte des frühen 20. Jahrhunderts. In Techniken der 1910er bis 1920er Jahre, des Futurismus und dem Bauhaus, werden musikalische Orchester aus Maschinen sowie anderem beweglichen Material zusammengefügt. Frei nach dem Motto: Was sich bewegen lässt, erzeugt einen Klang. Arbeiten wie Klangzeug (1989) als selbstspielende Musikautomaten, Paradoxe Klaviaturen (1992-1998), Waschmaschinenprogrammscheibenorchester (2000), Saiten-Kästen-Matrix (2008) u.a. Stache , der bei Leipzig lebt, hat mit seinen Konstruktionen die Freude an kinetischen Objekten wiederentdeckt und diese musikalisch erweitert. Ein absurdes Theater mit wundersamem Eigenleben und vielen spielerischen Momenten prägen seine Kunst.
Publikum - Mit Klang lernen
Im öffentlichem Raum, wie jüngst am Gendarmen Markt in Berlin, waren elektromagnetische Skulpturen aufgestellt. Von den Passanten, vor allem von Kindern wurden diese mit Interesse aktiviert. Kunst zu begreifen, ist bei Stache wörtlich zu nehmen. Verstehen kommt hier von Begreifen. Das Publikum konnte mit beiden Hände je zwei der vier Edelstahlpfeiler zum elektrischen Kreis verbinden. Das Erklingen kleiner elektronischer Melodien oder Auszügen größerer Werke belohnte die Aktion. Je nach Druck auf die Stangen veränderten sich Tonhöhen und rhythmische Strukturen. Zur öffentlichen Sache der Kunst jedoch wurden die klingenden Skulpturen erst durch das umstehende Publikum, das sich am ungewöhnlichen Musikinstrument erfreute und ohne es zu merken die Position von Betrachter hin zum Akteur wechselte. Die zu bedienenden Skulpturen sind Teil einer Serie, deren Namen sich dauernd ändern: 73,8 -- 83,7 -- 34,9 Kilo Ohm.
Christoph Metzger
produktion
Deutscher Musikrat gemeinnützige Projektgesellschaft mbH
Förderprojekte
Zeitgenössische Musik
Weberstraße 59, 53113 Bonn
T 02 28 - 20 91 170
F 02 28 - 20 91 200
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kuratoren der ausstellung
Stefan Fricke,
Johannes S. Sistermanns