Musik zum Selbermachen
"Bewegt dem trommelnden Tanz der Pflastersteine und ihrer Fugen lauschen"
(Frauke Eckhardt)
Von Joseph Beuys (1921-1986) stammt das bekannte Diktum ?Jeder Mensch ist Künstler?. Dass er Anfang der 1980er Jahre in einer Gesprächsrunde des Österreichischen Rundfunks (ORF), an der unter anderen auch der Komponist György Ligeti (1923-2006) teilnahm, auch den Satz prägte ?Jeder Mensch ist Musiker?, blieb indes völlig unbeachtet. Den meisten Menschen gilt Musik zwar als etwas, das sie lieben, benötigen und bewundern, doch verzichten sie in ihrem Musikleben auf die Entfaltung der eigenen schöpferischen Fähigkeiten. Statt selbst mit den akustischen Möglichkeiten zu spielen und zu experimentieren, überlassen sie das Musikmachen mit erschreckend wachsender Tendenz eher den Virtuosen und den Experten. Genau an diesem sozialen Mangel, der zugleich ein ästhetischer Defekt unserer Gesellschaft ist, setzt die Klangkunst von Fraucke Eckhardt ein, die wie auch Joseph Beuys, ausgebildete Bildhauerin ist.
Frauke Eckhardt, 1968 in Frankfurt am Main geboren, studierte nach einer Ausbildung zur Steinbildhauerin von 1993 bis 1997 an der Nürnberger Akademie der Bildenden Künste Bildhauerei, Kunst und öffentlicher Raum sowie Tanzskulptur und anschließend (bis 1999) audiovisuelle Kunst an der Hochschule für Bildende Künste Saar, Saarbrücken. Seither lebt und arbeitet sie in Saarbrücken.
Mit ihren Arbeiten knüpft Eckhardt an das Beuys?sche Erbe an, indem sie das Ohr als essenzielles Wahrnehmungsorgan in ihren Installationen und mobilen Raum-Klang-Erkundungsskulpturen verankert. Wie kaum eine andere Klangkünstlerin ihrer Generation ist in ihrer plastischen Kunst das geborgen, was Beuys einmal ?ein Suchen nach der wirklichen Gestalt der Dinge? genannt hat. Ein solches Suchen formuliert Eckhardt in ihren Arbeiten als Spiel und Prozess, aktiviert Entdeckungslust und Erforschungsdrang, animiert, die Welt mit den Ohren neu zu sehen.
Mit ihren Objekten und Installationen eine Musik für Passanten, eine Musik zum Selbermachen. Ihre Audio-Vehikel Klangmobil (1999) und Klangroller (2000), die beweglichen RaumKlangRezeptoren (2001) ? ebenso ihr interaktives Kakteen-Environement Klanglandschaft (2002) ? laden uns dazu ein, selbst Komponist zu werden. Sobald wir die technisch raffinierten und doch leicht zu bedienenden Fahrzeuge und Gerätschaften benutzen, aktivieren wir automatisch unser Potenzial als Musiker. Denn alle beschrittenen Wege und praktizierten Taten sind immer auch Klangspuren, die Eckhardts mobilen Objekte mittels Mikrofonierung (teils plus Aufzeichnung) subtil hörbar machen. Die so vorgenommenen Ortserkundungen und tatsächlichen Selbsterfahrungen, die durch die Wahl des Weges, die Wahl der Tat und der Geschwindigkeit individuell beeinflussbar sind, liefern ungewohnte akustische Erfahrungen. Was wir sonst gar nicht oder niemals in dieser Prägnanz wahrnehmen, sind jene Klänge, die wir selbst bei der Fortbewegung erzeugen - stets auf der Basis der dabei von uns berührten Elemente und ihrer jeweiligen Beschaffenheit. Ein Aufeinandertreffen von Beweglichkeit und Vorhandenem, das durchaus vergleichbar ist mit dem traditionellen Komponieren, das mit einem gewissen Tonvorrat, einem Instrumentenarsenal und anderen existierenden Parametern operiert, um damit eine Partitur als Voraussetzung des erdachten Musikstücks zu schaffen. Einen Notentext aber schreibt Frauke Eckhardt nicht. Sie konstruiert allein die Prämissen, die Lese- und Hörgeräte, um die konkrete Welt als stetig wandelbare Partitur erfahren zu können. Zugleich lässt sie uns so als Komponisten wie Interpreten begreifen, eben als Beuys?schen Musiker, der so seine eigene ästhetische Produktivität zu nutzen lernt. Und das gilt auch für, genau das hat der Besucher zu tun, wenn er Frauke Eckhardts Sitzmöbel Klangsurfer (2009) in der Ausstellung ?Klangkunst ? A German Sound? aufsucht, temporär besetzt: aktiv werden und hören, staunen und wieder hören.
Stefan Fricke
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Johannes S. Sistermanns