Kritische Pointe, pointierte Kritik

"ich betrachte kunst im allgemeinen als ausformung von gedanken in unterschiedlichen materialien. persönlich ziehe ich konzeptionelle ansätze vor: mehr gedanke, weniger material" (hans w. koch)

 

Natürlich ist das eine alberne Situation. Zwei Gummihandschuhe hängen, jeder über einen Föhn gestülpt, schlaff herab. Gelegentlich springt einer der beiden Haartrockner an, um den Handschuh aufzublähen, der seinem Gegenüber dann die hohle Gummihand reicht. hans w. koch hat sein slapstickhaftes Puppenspiel zudem mit einem kurzen Text versehen, wie um der Lächerlichkeit mit einem schicksalsschweren Philosophem entgegenzuwirken: "... an old story: the wind blows wherever it wants and whenever it wants. sometimes a meeting just happens." Die Klanginstallation rendez - vous (2000) ist in mehrfacher Hinsicht typisch für die Arbeiten des 1962 im schwäbischen Heidenheim an der Brenz geborenen Komponisten, Klang- und Performancekünstlers. Zum einen ist da jener schrullige, aber eben unausgesprochene und durchaus feine Humor, mit dem koch fast alle seine Arbeiten versieht. Man könnte nicht einmal sagen, was genau daran so lustig ist, dass Gummihandschuhe versuchen, einander die Hand zu geben, dass ein Stein in einer Mausefalle feststeckt (der nächste klang ist nur ein steinwurf entfernt, 2000) , dass eine romantische Ansichtskarte in einer alten Schreibmaschine steckt, als wäre es jemandem gelungen, den rosaroten Sonnenuntergang mit eisernen Typenhebeln zu malen (twilight-type, 2002). In diese Reihe gehört auch der kollektive Computerabsturz, den er mit seiner Software more&more ins Werk setzt und für den ihm das Ars Electronica Festival 2008 eine Auszeichnung verlieh.

 

Zum anderen ist da der Aspekt des Poveren. Denn koch pflegt seine Werke vollkommen unverbrämt und in aller Deutlichkeit auszustellen. Es ist nichts Verblüffendes daran, wenn kleine Spielzeugboote von Haartrocknern durch ein Planschbecken gepustet werden (shanti, 2002) oder ein Vibrator über das Fell einer Trommel hüpft (drumstick, 2007). Die Kabel werden nicht verkleidet, Boxen nicht abgedeckt, Klebestreifen nicht übermalt. Diese gleichsam emphatische Nachlässigkeit hat viel mit kochs Selbstverständnis als Künstler zu tun, dem es nicht um Glamour und schöpferische Mysterien zu tun ist, sondern um die Exposition einfacher, gar einfachster Zusammenhänge. Indem er die Entstehung des Klangs exponiert, kommen Akustik und Optik der Arbeiten zur Deckung; sie sind "nurmehr zwei Perspektiven auf dasselbe Werk" (koch). In diesem Sinne sind seine Arbeiten mit ihrer entwaffnenden Offenheit echt, ja nachgerade authentisch.

 

Schließlich ist da jenes kritische Moment, mit dem koch die Selbstverständlichkeiten des musikalischen Betriebs unterwandert. Das fängt bei den Materialien an, darunter zahlreiche Alltagsgegenstände wie Stahlwolle, Carrera-Bahnen und Quietsche-Entchen. Selbst der Computer wird bei koch zu einem Gebrauchsgegenstand. In seinem Performance-Zyklus computers as musical instruments horcht er den Korpus des Computers ab, schließt Platinen kurz, streicht mit einem Cellobogen über den Deckel eines Laptops oder koppelt das eingebaute Mikrofon mit dem eingebauten Lautsprecher rück. computers as musical instruments ist eine Reaktion auf den Technik-Fetisch der Neunzigerjahre. Er habe "auf die Risse in den digitalen Medien hinweisen" wollen. Dabei besaß er 1996, als das erste Stück der Reihe entstand, nicht einmal einen eigenen Computer. Auch eine Installation wie leerlauf (2001), das auf dem Geräusch eines leer laufenden CD-Spielers aufbaut, stellt die Imponderabilien des musikalischen Aktes bloß, indem es die Peripherie des Klangs exponiert und die vermeintlichen Schwachstellen des Systems ästhetisiert.

 

Seit 1988 lebt koch, der zunächst Musik, Physik und Geschichte auf Lehramt studierte, in Köln, wo er bei Johannes Fritsch an der Musikhochschule Komposition studierte, dann eine Abneigung gegen das konventionell notierte ?5-Linien-Stück? entwickelte und schließlich dem Bedürfnis nachgab, sich von den Institutionen des Musiklebens zu befreien. Stattdessen initiierte er als Mitglied der Krahnenbaum-Company öffentliche Irritationen wie das "Erste Kölner Staukonzert" (1994) und Werkkonzepte jenseits der gängigen Kategorien: koch kocht, isst und spült ab (kammeressen, 1999), zwei Föhne blättern die Partitur Beethovens Neunter Sinfonie durch (blasmusik, 1999), vier Musiker demontieren einen ausrangierten Flügel (requiem for a baby grand, 2008). 2007, als Gastprofessor am California Institute for the Arts konnte er seine ästhetischen Ansatz auch einer jüngeren Generation nahebringen: Musik ohne große Posen, ohne den Hochmut der Könnerschaft und ohne das medienwirksame Lächeln des Gewinners.

 

Björn Gottstein

 

 



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