Rolf Julius

"Klänge, die warten

Töne, die übrigbleiben

Musik, die man vergisst."

(Rolf Julius)

 

Es bedarf einer Art Stillsein, die die Sinne öffnet anstatt sie zu verkapseln, um den Spuren von Rolf Julius zu folgen. Dabei klingen diese Spuren schon selbst und führen an einen unausgestatteten Ort, der den Betrachter auf sich selbst zurückwirft. Seit seinem 1969 beendeten Kunststudium an der Kunsthochschule Bremen entwickelt Julius eine künstlerische Sprache, die - beeinflusst von der Begegnung des von Hans Otte für Radio Bremen initiierten Avantgardemusik-Festivals "Pro musica nova" - Klänge und Geräusche in den Mittelpunkt seiner Arbeiten rücken ließ. Durch seinen freien Umgang mit den verschiedenen Medien vermag er Räume in eine Atmosphäre präziser Konzentration zu versetzen, zugleich verstärkt von hörbaren Sinneseindrücken. Mit Kabeln und Lautsprechern wird gezeichnet: Die die Lautsprecher umgebenden Materialien verändern den Klang, auch die Materialien selbst verändern sich.

"Mit meinen Bildern schaffe ich einen musikalischen Raum. Mit meiner Musik schaffe ich einen bildnerischen Raum. Bilder und Musik sind gleichwertig. Sie treffen sich im Kopf des Betrachters und Zuhörers und ergeben in ihm etwas Neues".

Solche Klanginstallationen artikulieren Räume neu als Hörräume und rücken den Raum als solchen ins Zentrum der Aufmerksamkeit. Die Transparenz und gegenseitige Durchdringung der Räume mit Licht, das durch diffuse Scheiben fällt, verbildlicht die Vermischung von Innen- und Außenklang und beschreibt eine andere, eine innere Gestalt der Räume. Das genaue Hinhören vermittelt Wissen darüber, wo die Dinge hingehören und alle Sinneswahrnehmungen liefern nicht mehr länger ein Abbild der Realität, vielmehr einen Akt des Verstehens, eine Deutungsmöglichkeit für die einströmenden Informationen. Doch es geht Julius nicht um Synästhesie. Seine Arbeiten sollen alle Sinne ansprechen, ihre Verbindung offenbaren, sie aber nicht doppeln, etwa ein und denselben Reiz auf verschiedene Sinne ausüben. Aus diesem Gedanken entwickelt sich dann seine Idee von den akustischen Bildern der uns umgebenden Gegenstände und deren Klang in ihnen.

 

Musik an den Dingen

Berühmt sind Rolf Julius' als Bodenskulptur installierten Pflastersteine, die jeweils mit kleinen Hochtönern versehen, leise Klänge von sich geben (Musik in einem Stein 1982). Julius bannt dafür genauso Alltags- und Naturgeräusche wie Instrumentaltöne auf Tonband und verwendet sie, um damit den Dingen ihre ?Stimme" zurückzugeben. In ähnlicher Weise verleiht Julius Räumen und Objekten Färbung, indem er seine Musik mit visuellen oder haptischen Attributen versieht. Wie der Strich einer Zeichnung haben auch Klänge eine Oberfläche, können rau oder glatt, grau oder rot sein. So entsteht beispielsweise Musik für einen gelben Raum - presto (1982), ein leergeräumtes Büro mit weißen Wänden, auf dessen Boden sich zwei gelbe flache Hochtöner zusammen mit einem gelben Breitbandlautsprecher befinden und Klänge verströmen, die den Raum einfärben. Auch Deichlinie, die von zwei Tonbandschleifen begleitete Fotoinstallation einer Deichlinie aus der legendären Ausstellung "Für Augen und Ohren" (1980) der Akademie der Künste Berlin zeigte Julius phänomenales Verständnis akustischer Sichtweisen.

 

Musik des Kleinen

"Immer werden nur die großen Klänge bevorzugt. Aus diesem Grund schon beschäftige ich mich mit Klängen, die nicht so brillant und klar klingen. Aus Gründen der Gleichberechtigung benutze ich oft Töne, die leise, etwas unsauber und trübe sind. Aber bitte, diese Töne sind emanzipiert, und wer beurteilt eigentlich, was trübe und klar ist. Ist ein gezackter Strich schöner oder richtiger als ein glatter? Ist ein glatter Strich schöner oder richtiger als ein gezackter?"

Julius nimmt konkrete Klänge aus Natur und Umgebung auf und verfremdet sie, bis eine sehr leise, statische Tonbandmusik für seine Skulpturen entsteht, sogenannte "small music". Doch steht er dem Begriff Klangkunst eher skeptisch gegenüber, verweist auf dessen Schranken, die er mit seiner Kunst doch permanent obsolet erscheinen lässt.

"Die Klangkunst mag schon ein eigenes Medium sein, und es gibt ja auch derzeit viele Festivals darüber. Aber eigentlich engt der Begriff ein. Es geht mir um den wirklich freien Umgang mit den Medien in der Nachfolge von Cage."

Dabei fängt der Klang dort an, wo die Skulptur aufhört und umgekehrt. Dies zeigt sich besonders deutlich, wo Julius die Leere thematisiert. Um einen Raum zu leeren, bedarf es nicht nur seiner vollkommenen Räumung, sondern gerade seiner gezielten Befüllung mit akustischen und optischen Reizen, die Leere eindrücklich zu verdeutlichen. So zum Beispiel die riesige, 80 Meter lange Quergalerie im Hamburger Bahnhof in Berlin, in der Julius seine Arbeit Musik für einen fast leeren Raum (1998) einrichtete. Er brachte in die leeren Hallen leise Klänge, die aus kleinen Lautsprechern unter mit Pigment besiebten Glasplatten hervordrangen. Der Klang erfuhr einen visuellen Eindruck durch das Pigment, während das Auge der akustischen Orientierung half. Die Klangpausen dagegen färbten die Leere des Raumes.

 

Musik der Existenz

"Es ist doch wirklich egal, ob einer malt oder fotografiert. Man könnte auch Musik hören oder die Blumen gießen. Die Frage ist, wer hat eine glückliche Hand für Blumen."

Julius vermittelt mit seinen Arbeiten Atmosphäre, die nach Gernot Böhme "die gemeinsame Wirklichkeit des Wahrnehmenden und des Wahrgenommenen" ist und macht deren Abhängigkeiten von den Sinnen erfahrbar. Mit der Verschmelzung von Sehen und Hören ermöglichen viele von Julius' minimalistischen Arbeiten Fühlen und Denken gleichermaßen zu integrieren. Er erlöst die Töne der Dinge, verweist auf deren Bestand und vermag die meist unscheinbaren Gegenstände aus ihrem neutralen Stummsein für die menschliche Erlebniswelt zurückzuerobern, um gleichzeitig mit deren Verklingen deren Vergänglichkeit Ausdruck zu verleihen, Ephemeres und Konstantes als Grundelemente allen Seins. Dafür lassen sich seine Arbeiten beliebig auf- und an abbauen, sind ortsungebunden. Es sind einfache Einzelteile, Pappkartons, Schalen, Gewürze, Pigmente, Lautsprecher, Kabel, Eisenstücke, die in Julius' Werken vorkommen. Sie werden von ihm auch vermischt, erforscht, "erhört". Wie die runde, rostige Eisenscheibe in Sound Cooking II (2006), die vormals jahrelang ungenutzt in Julius' Atelier lag. Ein transparenter, frischer Klang scheint der schroffen, rostigen Art der Scheibe entgegenzustehen, lässt aber in dieser Kontrastierung sowohl die genauere Betrachtung der visuellen Beschaffenheit der Platte als auch die Wahrnehmung von Stille und Leere durch das "Prinzip der Ablenkung" zu. Die Verwertung von Altem zu Neuem erinnert seiner zyklischen Auffassung von Zeit, nicht Höhepunkt, sondern Kontinuum bestimmen seine Werke und deren Installation die räumliche Dimension von Zeit.

Außerdem erinnert er mit ihnen der Gleichberechtigung von Hör- und Sehsinn, die erst im Zusammenklang mit den Eindrücken anderer Sinne (Geruch, Gefühl, Geschmack, Gleichgewichtssinn?) zur ganzen oder ganzheitlichen Erfahrung gedeihen können.

 

Musik für die Ferne

Musik weit entfernt heißt die Video-Installation, bei deren Ausstellung Rolf Julius 2005 der Hannah-Höch-Preis verliehen worden ist. Diese Auszeichnung vergibt die Berliner Senatsverwaltung an Künstler ab dem 60. Lebensjahr für deren Lebenswerk, womit sie Julius' Kunst des geringen Aufwandes und der kleinen Eingriffe gewürdigt hat. Es geht ihm um die Aufmerksamkeit für das, was schon da ist. 1982 beginnt Rolf Julius eine Konzertreihe in der Landschaft in und um Berlin, deren Musik nicht dem Publikum, sondern der Natur gewidmet ist. Er spielt ein Konzert für den gefrorenen See, ein Konzert für eine Wiese oder ein Konzert für einen Strand, allesamt von einem lebendigen, spezifischen Resonanzraum erwidert. Hier setzt Julius' Musik als Mittlerin nicht nur zwischen Auge und Ohr, sondern zwischen Natur und Mensch und auch zwischen Natur und Technik ein. Später webt er einem Baum sogar ein Kleid aus Tönen (1980).

John Cages Maxime ?die Dinge sein zu lassen, was sie sind?, und beeinflusst von der japanischen Kultur, hat er die für ihn charakteristische ?stille? Klang- und Formensprache gefunden und vermag sich als Künstler im universalen Sinne alle Gattungen der Kunst zu eigen zu machen und in zurückhaltender, bescheidener Ruhe zu pflanzen.

 

Sylvia Wendrock

 



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